Samstag, 11. Mai 2013

Begegnung mit Goethe

Lunos öffnete die Augen, er war angekommen, im 18. Jahrhundert.
Es ist früh am Morgen. Noch steht der Nebel der Nacht in den Straßen. Pferdekutschen fahren über den Markt, Händler preisen ihre Ware an. Tücher werden von eifrigen Frauen gewebt. Neben dem Rathaus steht ein Prediger und der ganze Dreck: Matsch, verfaultes Gemüse, überall riecht es nach übel Stinkendem.

Doch inmitten dieses chaotischen Durcheinanders sieht Lunos Licht am Fester gegenüber der Post. Er fragt sich, wer wohl die Nacht dort verbracht hat. Von der Kerze ist nur noch ein Stumpf zu sehen. Er überschreitet mit seinen winzigen Füßen die Schwelle der Haustür. Es riecht hier angenehmer. Der Kamin hat wohl die ganze Nacht gebrannt. Ein Hauch von Lavendel macht sich breit.
Eben noch im Hauseingang sieht Lunos jetzt ein Zimmer voller Bücher. Ein junger Mann sitzt schreibend an einem kleinen Holztisch und taucht gerade die Feder ins Tintenfass.
Lunos schaut ihm neugierig über die Schulter und liest: Wo wir uns der Sonne freuen, sind wir jede Sorge los.  ...ungewöhnlich, zu dieser frühen Stunde noch die Feder in der Hand?

"Bist du noch wach?" "Bitte?" Der junge Mann reagiert überrascht auf seine Frage. Er hatte ihn kaum wahrgenommen. "Aber sicher, die Nacht ist schnell vergangen, und ich muss gleich wieder zum Gerichtshof, um unwichtigen Menschen Unnötiges mitzuteilen.
So empfinde ich das. Ich bin halt anders, und das hier ist nicht meine Welt. Mir bleibt nur die Nacht für meine Gedanken, die ich tagsüber versuche, in Greifbares, Erträumtes, Gigantisches umzusetzen."

Lunos merkt, ein Dichter, kein Richter, aber Denker sitzt hier vor ihm. "Wen suchst du denn?" "Niemanden", antwortet Lunos. " Die Kirchturmuhr schlägt sechs. Charlotte kommt zur Tür herein, wie sich gleich rausstellt. "Guten Morgen, ich habe frisches Brot und saftigem geräucherten Schinken vom Markt mitgebracht", sagt sie. "Oh, wie ich sehe, hast du Besuch. Soll ich für den Gast gleich mitdecken?" "Das wäre nett, Charlotte. Ich denke, er wird die Einladung annehmen."

Das war auch so. Lunos genoss das Frühstück mit dem jungem Goethe. Der sah ihn an und dachte an einen Lebenskünstler namens Werther und er träumte ihn sich herbei. Es gingen ihm Gedanken von Romantik und Tod durch den Kopf. Und die Romantik war gegeben.

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